Aktien im Risiko: Wie gefährlich ist Krieg für die Börse?

„Kaufen Sie, wenn Blut in den Straßen fließt, auch wenn es Ihr eigenes Blut ist.“ Kaum ein Satz wird im Zusammenhang zwischen Krieg und Börse so häufig zitiert, wie die Worte des weltberühmten Bankiers Nathan Rothschild aus dem 19. Jahrhundert. Eine ähnliche Börsenweisheit rät Anlegern, Aktien zu kaufen, wenn die Kanonen donnern. Aber stimmen diese Weisheiten wirklich? Gibt es tatsächlich ein positives Verhältnis zwischen Kriegen und Aktienkursen? Oder ist ein Krieg vielmehr eine Gefahr für die Börse? In diesem Beitrag findest Du Antworten auf diese und weitere Frage rund um die Auswirkungen von Kriegen auf die Börsenkurse.

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☝️ Das Wichtigste in aller Kürze

  • Kriege drücken Börsen zunächst nach unten – meist nur kurz.
  • Öl- und Gaspreise steigen besonders stark.
  • Höhere Staatsschulden belasten Aktienkurse.
  • Gewinner: Rüstung, Pharma, Telekommunikation.
  • Verlierer: Einzelhandel, Reisen, Industrie.
  • Die Erholung dauert oft nur wenige Wochen.

Wieder Krieg in Europa

Der 24. Februar 2022 stellte eine Zäsur in der Geopolitik Europas dar. Die russische Armee marschierte in das Nachbarland Ukraine ein und erstmals nach den Balkankriegen in den 1990er-Jahren herrschte wieder Krieg auf europäischem Boden.

Die Reaktion der Börsen war eindeutig. Der deutsche Leitindex DAX sackte am ersten Kriegstag um 4% ab und der europäische Leitindex Euro Stoxx 50 verlor 3,5%. Besonders hart traf es den Moskauer Leitindex RTS, der um 38% abstürzte.

Angesichts der befürchteten Angebotsverknappung bei Öl und Erdgas durch den Stopp russischer Lieferungen an Europa schossen die Öl- und Gaspreise in die Höhe. Ein Barrel der Nordseesorte Brent verteuerte sich am Tag des russischen Einmarsches in die Ukraine um mehr als 6% auf über 100 €. Auch der Preis der US-Leichtölsorte WTI stieg um fast 5%.

In den ersten sieben Monaten nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges verlor der DAX rund 20% an Wert. Aber es dauerte keine weiteren vier Monate, bis der deutsche Leitindex sich wieder vollständig von seinen Kursverlusten erholt hatte. Im Januar 2023 notierte der DAX bereits wieder über dem Kursniveau zum Kriegsausbruch. Eine sehr ähnliche Kursentwicklung zeigte sich auch beim europäischen Leitindex Euro Stoxx 50.

Die weitere Entwicklung des DAX ist bekannt. Seit dem Beginn des Ukraine-Krieges hat der deutsche Leitindex um ca. 50% zugelegt. In Anbetracht dieser Entwicklung könnte man Nathan Rothschild tatsächlich Recht geben. Aber ist das Verhältnis zwischen Krieg und Börse immer ein positives?

Die Börsen zu Weltkriegszeiten

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns die Auswirkungen weiterer Kriege auf die Kurse von Aktien in der Vergangenheit ansehen. Reisen wir zurück in der Zeit und schauen wir uns zuerst an, wie die beiden größten militärischen Konflikte des 20. Jahrhunderts, der Erste und der Zweite Weltkrieg, die Börsen beeinflussten.

Zu Beginn des Ersten Weltkrieges fiel der US-amerikanische Leitindex Dow Jones um rund 30%. Aufgrund des Kriegsausbruchs wurden die Börsen für sechs Monate geschlossen. Nach deren Wiedereröffnung legte der Dow um fast 90% im Jahr 2015 zu.

Ein etwas anderes Bild zeigte sich bei der Kursentwicklung im Zweiten Weltkrieg. Zu Beginn der deutschen Invasion auf Polen legten US-Aktien um 10% zu. Auch den japanischen Angriff auf Pearl Harbor, der die USA zum Kriegseintritt bewegte, quittierten die US-Märkte lediglich mit einem leichten Kursverlust von 3%. Insgesamt stieg der Dow Jones-Index über den Zeitraum des Zweiten Weltkrieges von Ende 1939 bis Anfang 1945 um 50%.

Auch die Kursentwicklung der Börsen in den beiden Weltkriegen legt demnach nahe, dass von Kriegen keine große Gefahr für Aktien ausgeht. Gilt das auch in anderen Fällen?

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Der Zweite Golfkrieg

Schauen wir uns weitere Ereignisse an, die in den vergangenen vier Jahrzehnten die gesamte Welt erschütterten. Am 2. August 1990 ließ der irakische Diktator Saddam Hussein seine Armee im benachbarten Kuwait einmarschieren. Der unerwartete Einmarsch irakischer Truppen versetzte die Weltwirtschaft kurzzeitig in einen Schockzustand. Innerhalb weniger Tage verloren sowohl der DAX als auch der Dow Jones knapp 10%.

Noch stärker wirkte sich der Angriff des Irak auf Kuwait auf die Ölpreise aus. Beide Länder gehören zu den wichtigsten Öllieferanten der Welt, weshalb sich der Ölpreis innerhalb weniger Monate verdoppelte. Auch dieser Ölpreisanstieg wirkte sich negativ auf die Aktienkurse der meisten Unternehmen aus.

Doch ähnlich wie im Falle des Ersten und des Zweiten Weltkrieges erholten sich die Börsen recht schnell vom ersten Invasionsschock. Bereits im Frühjahr 1991 erreichte der Dow Jones-Index wieder das Niveau zum Kriegsausbruch im August 1990.

Der 11. September 2001

Der 11. September 2001 wird den meisten Menschen für immer in Erinnerung bleiben. Vier Flugzeuge wurden in den USA von islamischen Terroristen gekapert und auf zivile Ziele gesteuert. Zwei Maschinen brachten die Zwillingstürme des World Trade Centers in New York zum Einsturz, ein weiteres Flugzeug krachte in das US-Verteidigungsministerium in Washington D.C. und der vierte Jet stürzte in unbewohntem Gebiet in Pennsylvania ab. Rund 3.000 Menschen verloren bei den Terroranschlägen ihr Leben.

Die völlig unerwartete Terrorattacke in den bis dahin weitgehend vom Terrorismus verschonten USA sorgte für einen Schock an den Aktienmärkten. Der US-Leitindex Dow Jones stürzte innerhalb weniger Tage um knapp 12% in die Tiefe. Doch die Vereinigten Staaten ergriffen sofort Gegenmaßnahmen, um den Ausbruch einer Finanz- und Wirtschaftskrise zu verhindern. Die US-Notenbank FED senkte den Leitzins auf 3% und sorgte damit umgehend für eine Stabilisierung der Finanzmärkte. Innerhalb von nicht einmal vier Wochen machten die wichtigen US-Aktienindizes alle Verluste im Nachgang des 11. September wieder wett.

Schnelle Erholung nach einem kurzen Schock

Aus den fünf Beispielen des Ukraine-Krieges, des Ersten und Zweiten Weltkrieges, des Zweiten Golfkrieges und des 11. September 2001 scheint man eine Verallgemeinerung ableiten zu können. Zu Kriegsbeginn ereignet sich an den Börsen in der Regel ein heftiger, aber kurzer Kurseinbruch, der jedoch innerhalb weniger Monate oder sogar Wochen wieder wettgemacht wird.

Diese Verallgemeinerung wird auch durch einen deutlich größeren Datensatz der US-amerikanischen Vermögensverwaltung LPL bestätigt. Ihre Experten untersuchten die Reaktion der Börse auf zwanzig wichtige geopolitische Ereignisse, wie beispielsweise Kriegsausbrüche oder Terroranschläge, seit dem Zweiten Weltkrieg. Das erste Ergebnis: Im Schnitt fielen die Aktienkurse nach diesen Ereignissen um maximal 5%. Das zweite Ergebnis: Im Schnitt dauerte es nur 47 Tage, bis die Börsen ihre initialen Verluste wieder aufgeholt hatten.

Ein Krieg beendet die Unsicherheit

Eine Regel, die jeder Anleger kennen sollte, ist, dass an der Börse nicht die Vergangenheit oder die Gegenwart, sondern die Zukunft gehandelt wird. Eine weitere Börsenregel lautet, dass die Aktienmärkte nichts mehr hassen als Unsicherheit.

In Bezug auf Kriege bedeutet das, dass die Aktienmärkte im Vorfeld eines Kriegsausbruchs oft hochgradig nervös sind und demzufolge eine hohe Volatilität aufweisen. Sobald der Krieg ausgebrochen ist, ist die Zeit der Unsicherheit vorbei und der Markt steht vor vollendeten Tatsachen. Während eines Krieges setzen die Aktienmärkte bereits auf mögliche Zukunftsszenarien nach dessen Beendigung. Das ist eine plausible Erklärung für das Phänomen steigender Aktienkurse zu Kriegszeiten.

Dieses Börsenphänomen konnte durch eine statistische Auswertung des Schweizer Finance Institutes belegt werden, dessen Fachleute die Kursentwicklungen von Börsen vor und nach Kriegen im Laufe der Geschichte auswerteten. Ihre Auswertung bestätigte, dass in Vorkriegsphasen die Kursrückgänge meist höher sind als nach dem eigentlichen Ausbruch des Krieges. Auch die Investmentfirma Armbruster Capital wertete die Börsendaten über einen Zeitraum von fast 90 Jahren aus und fand heraus, dass die Volatilität von Aktienkursen während eines Krieges niedriger ist als zu Friedenszeiten.

Welche Aktien profitieren von einem Krieg?

In erster Linie sind die großen Profiteure militärischer Konflikte selbstverständlich die Aktien von Rüstungsunternehmen. Bestes Beispiel dafür ist die Kursentwicklung deutscher und europäischer Rüstungskonzerne seit dem Beginn des Ukraine-Krieges.

Aber auch die Aktien defensiver Industrien, wie beispielsweise der Pharma-, der Telekommunikations- und der Versicherungsbranche, profitieren meist zu Kriegszeiten. Sie gelten in turbulenten Zeiten als „sichere Häfen“, die kaum von der Konjunktur beeinflusst werden.

Welche Aktien leiden unter einem Krieg?

Die großen Verlierer eines Krieges an der Börse sind in der Regel die Aktien von Unternehmen, die stark von der Konjunktur abhängig sind. Zu diesen zyklischen Aktien gehören beispielsweise Unternehmen aus dem Einzelhandel, der Reisebranche und der verarbeitenden Industrie.

Vor allem die Aktien von Unternehmen, bei denen fossile Energieträger einen hohen Kostenanteil ausmachen, leiden häufig zu Kriegszeiten. Der oft sprunghafte Anstieg der Öl- und Gaspreise führt für sie zu einer massiven Kostensteigerung.

Sehen Anleger keine Gefahr mehr in Kriegen?

Die vorgestellten Daten scheinen nahezulegen, dass Anleger Krieg nicht mehr als große Gefahr für die Börse wahrnehmen. Dieser Rückschluss kann mehrere Ursachen haben. Eine Ursache könnte sein, dass es sich bei den letzten kriegerischen Auseinandersetzungen eher um lokal begrenzte Konflikte ohne größere Folgewirkungen auf die Weltwirtschaft handelte.

Diese Ansicht vertritt die Börse anscheinend selbst beim Ukraine-Krieg. Weder die NATO noch Russland haben derzeit ein größeres Interesse, den Krieg zu einem Weltkrieg zwischen den beiden Militärmächten eskalieren zu lassen.

Das kann sich aber in Zukunft ändern. Nicht wenige Politikexperten gehen davon aus, dass Russland in einigen Jahren die NATO an anderer Stelle direkt provozieren könnte. Mit hoher Wahrscheinlichkeit dürfte es um eine militärische Provokation in den baltischen Staaten gehen. Als Mitgliedsländer des nordatlantischen Bündnisses wird die NATO eine russische Aggression im Baltikum zweifellos nicht unbeantwortet lassen.

Ein weiterer geopolitischer Brandherd, der sich in naher Zukunft als brandgefährlich für die Weltwirtschaft erweisen könnte, ist Taiwan. Die Volksrepublik China zählt die kleine Insel vor ihrer Küste seit jeher zu ihrem Staatsgebiet und erkennt die Unabhängigkeit Taiwans nicht an. In den vergangenen Jahren hat die Zahl militärischer Provokationen seitens Chinas deutlich zugenommen. Das Signal, man könne jederzeit eine Invasion Taiwans beginnen, ist klar.

Bislang haben einzig und allein die USA diesen Schritt verhindert. Die militärische Unterstützung Taiwans durch die Vereinigten Staaten ist für China ein unkalkulierbares Risiko, das die Führung in Peking bislang nicht einzugehen wagte. Ob die USA aber langfristig bereit sind, Taiwan zu verteidigen, wird von vielen Politikbeobachtern bezweifelt.

Eine andere Ursache, warum Kriege der Börse in den letzten Jahrzehnten nicht mehr gefährlich werden konnten, ist die zunehmende Unabhängigkeit der großen Volkswirtschaften. Dies betrifft vor allem den Energiesektor. Sowohl die USA als auch Europa haben in den letzten Jahren massive Anstrengungen unternommen, ihre Abhängigkeit von ausländischen Energielieferungen zu reduzieren. Der Ukraine-Krieg hat die Verwundbarkeit Europas durch die Abhängigkeit von russischem Gas sehr deutlich zutage gefördert. Als Reaktion auf die Kappung russischer Gaslieferungen haben die europäischen Staaten massiv in die Diversifizierung ihrer Energieinfrastruktur investiert. In Zukunft werden die Börsen der USA und Europas aufgrund ihrer stärkeren Energieautarkie voraussichtlich weniger stark auf Preisschocks an den Öl- und Gasmärkten reagieren.