Sell in May and go away? Ist die „Börsenweisheit“ noch zeitgemäß?

Es ist eine saisonale Börsenweisheit, die alle Jahre wieder durch die Medien wandert: Sell in May and go away. Woher stammt der Satz und welche Relevanz hat das Bonmot für Trader und Anleger heute? 

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Wonnemonat Mai – auch an der Börse? 

Der Mai gilt gemeinhin als Wonnemonat, in dem die Wärme zurückkehrt und sich alles erneuert. Zahlreiche Bräuche beleben das gesellschaftliche Leben und Zelebrieren diesen saisonalen Übergang. Für die Landwirtschaft ist der Mai traditionell ein Weidemonat – und für die Börse? 

Am Kapitalmarkt endet mit dem Monat Mai typischerweise ein renditereicher, performancestarker Börsenzyklus und macht Platz für eine ruhigere Phase: dem Sommer. Statistisch gesehen, sinken die Umsätze von Mai bis Oktober, um im November wieder an Fahrt aufzunehmen.  

Um es konkret zu machen: Von 1990 bis 2022 legte der marktbreite S&P 500 von Mai bis Oktober um 2 Prozentpunkte zu. Demgegenüber stieg das amerikanische Börsenbarometer zwischen November und April um satte 7 %. Nicht umsonst gibt es einen Zusatz zur Börsenweisheit, der Anleger daran erinnern soll, den Wiedereinstieg nicht zu verpassen: „Sell in May and go away, but remember to come back in September“.  

Ursprünge des Maiverkaufs 

Wagt man einen Blick in die Vergangenheit, entdeckt man ständische Verhaltensweisen, die dieses saisonale Muster zuerst verursachten. In der City of London, dem britischen Finanzzentrum, galt unter Bankiers, Aristokraten und Investoren das Credo: Sell in May and go away, come back on St. Legers Day.  

Mit dem St. Legers Stakes ist ein Pferderennen im September gemeint, das zu den bekanntesten in England zählt. Es ist das letzte Rennen im Kampf um die prestigereiche Triple Crown.  

Damit zählen die Maiverkäufe zu den althergebrachten Gepflogenheiten der englischen Oberschicht, im Wonnemonat alle Aktien zu verkaufen und die dabei entstandenen Gewinne einzustreichen. Die Aristokraten verließen London und zogen sich aufs kühlere Land zurück. Pferderennen boten ausreichend Gelegenheit, Teile des erworbenen Börsenvermögens auf neue Spekulationen umzuschichten.  

Für Broker und Banker des 18. und 19. Jahrhunderts bedeutete das Verhalten ihrer wichtigsten Klientel eine ausgedehnte Sommerpause.  

Die Strategie wanderte über den Atlantik und in den USA entstand ein vergleichbarer zeitilcher Rahmen. Viele Investoren und Anleger lassen bis heute ihre Investments an der Börse zwischen dem Memorial Day (Mai) und dem Labor Day (September) ruhen.    

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Und heute?  

Nach diesem kurzweiligen geschichtlichen Exkurs stellt sich die Frage, welche Bedeutung diese saisonale Strategie für heutige Anleger hat. Es gibt einen eigenständigen Forschungsstrang, der sich mit der Frage beschäftigt, ob Maiverkäufe eine vielversprechende Handelsstrategie sind und die Ergebnisse fallen gemischt aus.  

Wenn überhaupt, konnte man bei der aggregierten Betrachtung des S&P 500 zwischen 1950 und heute zeigen, dass es Jahre gab, in denen die Regel bestätigt wurde und solche, wo sie nicht zutraf.  

Diese wissenschaftliche Vagheit tat der Börsenweisheit bisher keinen Abbruch. Dies hängt auch damit zusammen, dass sich zwischen Mai und Oktober mehrere einschneidende Crashs ereigneten, die die Regel zu bestätigen scheinen. Zu den Korrekturen zählt der schwarze Montag 1987, das Downgrade der amerikanischen Kreditwürdigkeit 2011, die Pleite der Investmentbank Lehman Brothers 2008 und nicht zuletzt: der schwarze Freitag von 1929.  

Darüber hinaus schwächen die langen Sommerferien die Handelsaktivität ab. Geringere Volumina, Umsätze und Erträge sind die Folge.  

Andererseits hat sich die Welt der Finanzen und Kapitalmärkte spürbar beschleunigt und technologisch weiterentwickelt. Das erschwert die Vorhersehbarkeit saisonaler Muster. Die Digitalisierung und die Existenz von Hochleistungsrechnen vernetzen Investoren überall in der Welt und machen den Handel in Bruchteilen von Sekunden möglich. Die ausschließliche anglo-amerikanische Dominanz an den Kapitalmärkten hat sich pluralisiert. Große Käufer können heute aus China, Japan, Brasilien oder Saudi-Arabien kommen und die Märkte bewegen. 

Daher empfiehlt es sich als Kleinanleger, dem Sell in May-Credo mit umgekehrter Psychologie zu folgen. Hält die Regel, was sie verspricht, und die Handelsaktivität sackt ab, dann ist der Sommer für Nachkäufe von Aktien ein hervorragender Zeitraum.  

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