Der Sommer-Crash

Es ist fast ein Jahr her, da erlebten Anleger einen weltweiten flash crash – von besinnlicher Urlaubsruhe war plötzlich keine Rede mehr. Was der Auslöser für den Blitzeinbruch war, ist Thema des heutigen Wissensbeitrags.   

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Japan erhöht den Leitzins 

Nach jahrzehntelanger Niedrigzinspolitik kündigte die japanische Zentralbank Ende Juli 2024 überraschend einen zweiten Zinsschritt von 25 Basispunkten an. Die Börsen reagierten heftig. Gleich am Montag, dem 5. August, rauschten marktbreite Indizes wie der S&P 500 ab, der japanische Nikkei färbte sich tiefrot und die Magnificent Seven verloren zeitweise zweistellig.  

Erst die Intervention des stellvertretenden Zentralbankchefs, Shinichi Uchida, stoppte den rasanten Abverkauf und beruhigte die volatilen Märkte. So versicherte Uchida vor wenigen Tagen, die Bank of Japan werde „ihren Leitzins nicht erhöhen, wenn die Finanz- und Kapitalmärkte instabil sind.“ 

Carry Trades als tickende Zeitbombe? 

Was war passiert? Mit der Ankündigung der Leitzinserhöhungen am 31. Juli 2024 wackelte eine populär gewordene Trading-Technik, die wir an anderer Stelle bereits beschrieben haben: der Carry Trade.  

Zur Erinnerung: Mit einem Carry Trade nehmen Anleger einen Kredit in einer Währung mit niedriger Verzinsung auf und tauschen diese in eine Fremdwährung mit höherem Zinsniveau. Das günstig geliehene Kapital kann zu besseren Konditionen in festverzinsliche Wertpapiere wie Staats- und Unternehmensanleihen oder Aktien der Fremdwährung angelegt werden. 

Am Ende der Laufzeit müssen Trader den Kredit in der ursprünglichen Währung auslösen. In einem ideal verlaufenden Szenario profitieren sie von der Zinsdifferenz zwischen beiden Währungen und streichen die Erträge ein. Eines der beliebtesten Währungspaare für Carry Trades ist der Yen und der US-Dollar.  

Yen in allen Märkten 

Eine der wichtigsten Voraussetzungen für den Erfolg des Carry Trades ist ein stagnierendes Niedrigzinsumfeld und stabile, idealerweise fallende Wechselkurse der Kreditwährung (Yen). Ändern sich die Rahmenbedingungen grundlegend, gefährdet dies die gesamte Anlagestrategie.  

Die Ankündigung der japanischen Zentralbank, den Leitzins zu erhöhen, war so eine Änderung der Rahmenbedingungen und setzte eine Lawine in Gang.  

Investoren, die in den Carry Trade investiert waren, befürchteten zu Recht, dass der Yen eine Aufwertung erfahren könnte. Nicht zuletzt war dies das erklärte Ziel der Bank of Japan: die Stützung des schwachen Yen gegenüber dem US-Dollar. Allerdings würden Kurssteigerungen der japanischen Leitwährung den Trade in ein Verlustgeschäft verwandeln.  

Weltweit reagierten Investoren und Anleger prompt. Sie liquidierten ihre Positionen in Aktien, ETFs und Anleihen, die sie mit den geliehenen US-Dollar gezeichnet hatten. Im nächsten Schritt tauschten sie die US-Dollar in Yen zurück, um Verluste zu vermeiden und ihre Verbindlichkeiten aufzulösen.   

Diese gefährliche Verkaufsspirale endete erst, als die japanische Zentralbank den angekündigten Zinsschritt in eine zeitlich nicht weiter definierte Zukunft aufschob. 

Besorgniserregend ist aber ein anderer Umstand: Niemand weiß genau, wie viel Geld im Yen Carry Trade steckt und ob die Mehrzahl offener Positionen bereits geschlossen wurden.  

Schätzungen der Deutschen Bank zufolge könnte die japanische Regierung selbst das Problem sein. Analysten vermuten, dass ein erheblicher Teil von Japans Staatsverschuldung – bis zu 20  Billionen US-Dollar – in einem riesigen Carry Trade gebunden sind.