Tourmaline Oil: Der günstigste Gasriese Nordamerikas?
Die Aktie von Tourmaline Oil wird derzeit mit einem deutlichen Abschlag auf ihren inneren Wert gehandelt – trotz beeindruckender operativer Erfolge und ehrgeiziger Wachstumspläne. Das kanadische Unternehmen hat sich still und effizient zur führenden Kraft im heimischen Gasmarkt entwickelt und zählt mittlerweile zu den vier größten Erdgasproduzenten Nordamerikas. Für Investoren könnte sich hier eine seltene Gelegenheit bieten.
Der leise Riese unter den Energieproduzenten
Trotz des Namens, der auf Öl schließen lässt, erwirtschaftet Tourmaline rund 80 bis 85 Prozent seiner Energieproduktion aus Erdgas. Die Förderung konzentriert sich auf die reichen Montney- und Deep-Basin-Vorkommen im Westen Kanadas. In puncto Produktionsvolumen liegt das Unternehmen deutlich vor Konkurrenten, die an der Börse ein Vielfaches wert sind – ein erster Hinweis darauf, dass die Bewertung hinter der operativen Realität zurückbleibt.
Keine Hochglanzfolien, sondern harte Zahlen
Ein Blick in die aktuelle Investorenpräsentation genügt, um zu verstehen, wie Tourmaline tickt. Die Folien wirken schlicht, fast altmodisch – und genau das spricht für das Management. Während andere Konzerne seitenlang aufpolierte Grafiken zeigen, liefert Tourmaline nüchterne Fakten. Statt Marketing steht hier die operative Leistung im Vordergrund. Die Botschaft ist klar: Wer Ergebnisse liefert, muss sie nicht überinszenieren.
Dynamisches Produktionswachstum zur richtigen Zeit
Tourmaline treibt derzeit mehrere große Projekte voran, die die Produktion von derzeit rund 650.000 Barrel Öläquivalent pro Tag (mboepd) auf etwa 850.000 mboepd erhöhen sollen. Zum Vergleich: 2023 lag die Fördermenge noch bei rund 520.000 mboepd. Dieses Wachstum fällt in eine Phase, in der die weltweite Nachfrage nach Erdgas wieder kräftig anzieht – strategisch also ein äußerst günstiger Zeitpunkt für die Expansion.
Solide Ergebnisse trotz hoher Investitionen
Das zweite Quartal und das erste Halbjahr 2025 verliefen stark: Die Gasproduktion stieg im Jahresvergleich um 12 Prozent. Gleichzeitig erhöhte Tourmaline die Investitionsausgaben (CAPEX) um 56 Prozent, was den freien Cashflow auf 466 Millionen kanadische Dollar im ersten Halbjahr drückte. Allein im zweiten Quartal wurden 316,9 Millionen erwirtschaftet – eine respektable Leistung angesichts der massiven Ausweitung des Investitionsprogramms.
Wachstum geht vor kurzfristiger Bilanzschönung
Die höheren Investitionen führten zu einem moderaten Anstieg der Aktienanzahl um sieben Prozent und der Nettoverschuldung um rund 20 Prozent. Langfristig dürfte sich dieser Schritt jedoch bezahlt machen. Seit 2014 hat Tourmaline die Produktion je Aktie um durchschnittlich zwölf Prozent jährlich gesteigert – und das bei kontinuierlicher Kostensenkung. Das zeigt, dass Expansion und Effizienzsteigerung Hand in Hand gehen.
Aussicht auf wachsende Cashflows und sinkende Schulden
Das Management rechnet mit einem deutlichen Anstieg der freien Mittelzuflüsse: Für 2025 wird ein Free Cashflow (FCF) von rund 755 Millionen Dollar erwartet, der bis 2027 auf 1,8 Milliarden steigen soll. Ab 2028 dürfte das Unternehmen netto schuldenfrei sein und in eine Nettoliquiditätsposition übergehen – bei gleichzeitig stabiler Dividende und wachsenden Margen.
In den Planungen wird konservativ kalkuliert: 65 US-Dollar pro Barrel WTI, 4 US-Dollar pro MMBtu Gaspreis und ein AECO-Abschlag von einem Dollar pro Mcf. Selbst bei geringeren Preisen bliebe die Ertragslage robust. Das aktuelle Kursniveau von rund 23 Milliarden kanadischen Dollar Marktkapitalisierung wirkt damit noch unterbewertet.
Finanzielle Basis bleibt solide
Trotz der Investitionsoffensive bleibt die Bilanz stabil. Zwar übersteigen die kurzfristigen Verbindlichkeiten die liquiden Mittel, doch die langfristigen Vermögenswerte decken die Schulden mehrfach ab. Mit rund 1,87 Milliarden Dollar Nettoschulden und einem Kurs-Buchwert-Verhältnis von 1,4 steht Tourmaline im Branchenvergleich gut da. Die Schuldenlaufzeiten sind zudem komfortabel – größere Rückzahlungen werden erst ab 2030 fällig.
Strategische Verkäufe und Investitionen
Kürzlich veräußerte Tourmaline einen weiteren Anteil an Topaz Energy für 242 Millionen Dollar. Das Kapital soll in den Ausbau der NEBC-Infrastruktur fließen, während die Verschuldung auf dem Zielniveau von 1,5 Milliarden Dollar gehalten wird. Der nächste Quartalsbericht am 6. November dürfte Aufschluss darüber geben, wie das Unternehmen auf die jüngsten makroökonomischen Entwicklungen reagiert – insbesondere in Hinblick auf mögliche Anpassungen der Investitionspläne.
Attraktive Dividendenpolitik mit Spielraum für mehr
Tourmaline gilt als großzügiger Dividendenzahler. Die Basisdividende liegt derzeit bei zwei Dollar pro Aktie und kostet das Unternehmen rund 775 Millionen Dollar jährlich, was einer Rendite von gut 3,3 Prozent entspricht. In den vergangenen Jahren kamen mehrfach Sonderdividenden hinzu. Angesichts der Investitionslastigkeit dürfte das Management künftig jedoch stärker auf Stabilität und weniger auf Sonderausschüttungen setzen.
Zusätzlich läuft seit August 2025 ein Aktienrückkaufprogramm über bis zu fünf Prozent des Streubesitzes. Zusammen mit Dividenden strebt Tourmaline eine Gesamtrendite von über zehn Prozent für Aktionäre an – ein bemerkenswerter Wert in der Branche.
Gas als Wachstumstreiber der Energiewende
Die starke Fokussierung auf Erdgas erweist sich als strategischer Vorteil. Während Öl langfristig an Bedeutung verliert, gilt Gas als Brückentechnologie der Energiewende. Prognosen gehen von einem jährlichen Nachfragewachstum von rund fünf Prozent aus. Hinzu kommt die rapide steigende Energienachfrage durch Rechenzentren und KI-Infrastruktur – ein Trend, von dem Gasproduzenten erheblich profitieren dürften.
Die dritte Welle des LNG-Booms
Tourmaline steht zudem im Zentrum eines globalen Umbruchs. Weltweit entstehen derzeit neue LNG-Projekte – von Golden Pass über Plaquemines bis LNG Canada. Insgesamt werden bis Ende des Jahrzehnts zusätzliche 150 Millionen Tonnen LNG-Kapazität pro Jahr erwartet. Tourmaline ist durch seine kanadische Lage und seine Reserven hervorragend positioniert, um an diesem Wachstum teilzuhaben.
Ein aktuelles Abkommen mit Uniper unterstreicht das: Ab November 2028 liefert Tourmaline täglich 80.000 MMBtu Erdgas an die US-Golfküste, gekoppelt an die europäischen TTF-Preise. Damit verschafft sich das Unternehmen Zugang zu internationalen Märkten – ein wichtiger strategischer Schritt.
Risiken im makroökonomischen Umfeld
So stark die Fundamentaldaten sind, bleibt Tourmaline nicht immun gegen externe Risiken. Der jüngste Höhenflug von Gold auf über 4.200 US-Dollar zeigt, wie stark die Märkte derzeit von Unsicherheit geprägt sind – ob durch Handelskonflikte, Währungsschwankungen oder Rezessionsängste. Ein stärkerer US-Dollar oder geopolitische Entspannung – etwa im Ukraine-Konflikt – könnten kurzfristig auf die Gaspreise drücken.
Dennoch bietet die Kostenstruktur von Tourmaline genügend Puffer: Selbst bei Preisen von rund 2,15 Dollar pro Mcf lassen sich Dividende und Instandhaltung finanzieren, die reine Produktionssicherung liegt bei etwa 1,5 Dollar – ein komfortabler Sicherheitsabstand.
Vergleich mit den Branchenriesen
Im Vergleich zu Wettbewerbern wie Canadian Natural Resources, Ovintiv, Whitecap Resources, Chord Energy, TotalEnergies oder Exxon Mobil weist Tourmaline trotz geringerer Börsenbewertung ähnliche oder sogar bessere Margen auf. Besonders bemerkenswert sind die hohen Kapitalrenditen und die stetige Margenausweitung. Während Ölproduzenten zuletzt vom Preisanstieg profitierten, arbeitet Tourmaline an der Erschließung langfristiger Wachstumsmärkte im Gasbereich.
Bewertung: Deutliches Aufwärtspotenzial
Unter konservativen Annahmen – etwa 750 Millionen Dollar Free Cashflow in den Jahren 2025 und 2026, 1,5 Milliarden in 2027 und zwei Milliarden in 2028 – ergibt sich auf Basis eines WACC von 6,5 Prozent ein fairer Unternehmenswert von rund 34,8 Milliarden Dollar. Das entspricht einem fairen Aktienkurs von etwa 85 kanadischen Dollar (bzw. rund 60 US-Dollar) je Aktie – also deutlich über dem aktuellen Marktpreis.
Fazit: Unterbewertet mit langfristigem Rückenwind
Tourmaline Oil kombiniert eine konservative Bilanz mit hoher operativer Effizienz, wachstumsstarken Projekten und einer klaren Dividendenstrategie. Selbst bei vorsichtigen Annahmen erscheint die Aktie fundamental unterbewertet.
Die starke Stellung im nordamerikanischen Gasmarkt, solide Cashflows und die Perspektive steigender LNG-Nachfrage sprechen für einen langfristigen Aufwärtstrend. Natürlich bleibt das Unternehmen konjunktur- und preisabhängig – doch das Chance-Risiko-Verhältnis ist bemerkenswert attraktiv.
Klar ist: Tourmaline Oil ist einer der interessantesten Energie-Titel Nordamerikas – ein leiser, aber äußerst effizienter Marktführer mit erheblichem Nachholpotenzial an der Börse. Bessere Aktien findest Du nur im Rohstoff Anleger Club.