Netflix: Wann ist wieder Einstiegszeit?

Kurs konsolidiert
Gideon Crest

Die Aktienmärkte zeigen sich derzeit in Hochform, doch unter der Oberfläche brodeln Unsicherheiten. Gerade in solchen Phasen lohnt sich ein nüchterner Blick auf gehypte Titel wie Netflix, deren Bewertung zunehmend vom tatsächlichen Wachstum entkoppelt scheint. Trotz ihrer jüngsten Konsolidierung birgt die Aktie immer noch starke Risiken.

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Aktien-Rallye macht nervös

Der Aktienmarkt kennt derzeit kaum Grenzen, der S&P 500 eilt von einem Rekordhoch zum nächsten – und das, obwohl zahlreiche makroökonomische und geopolitische Risiken im Raum stehen. In dieser angespannten Lage scheint es ratsam, sich intensiv mit Strategien zur Absicherung gegen mögliche Rückschläge auseinanderzusetzen. Für mich bedeutet das in erster Linie, Gewinne bei den diesjährigen größten Momentum-Gewinnern mitzunehmen und in defensivere Anlagen umzuschichten – dazu zählen vor allem Value-Aktien aus dem Small- und Mid-Cap-Segment, Anleihen sowie liquide Mittel.

Gute Zahlen, Enttäuschung beim Kurs

Netflix hat die Berichtssaison für das zweite Quartal eröffnet – und zwar mit scheinbar starken Ergebnissen. Der Streaming-Anbieter konnte seinen Umsatz erneut beschleunigen und auch die Margen legten deutlich zu. Dennoch verlor die Aktie in den Tagen nach der Veröffentlichung rund zehn Prozent an Wert. Für mich ein klares Signal, dass Anleger zunehmend skeptisch auf die dauerhaft hohe Bewertung des Unternehmens blicken.

Seit dem April konnte sich das Netflix-Papier im Einklang mit dem breiten Markt erholen. Trotzdem sehe ich deutliche Risiken für das aktuelle Wachstumstempo – insbesondere, wenn die Effekte der letzten Preiserhöhungen im kommenden Jahr auslaufen. Auch die zunehmende Fokussierung auf große Live-Events könnte sich negativ auf die Margenentwicklung auswirken.

Wachstum getrieben durch Preisanhebungen

Besorgniserregend ist die Entwicklung der Zuschauerzahlen: Laut dem Quartalsbericht stiegen die insgesamt gestreamten Stunden im Jahresvergleich lediglich um ein Prozent auf 95 Milliarden. Diese Zahl liegt deutlich unter dem Umsatzwachstum und deutet darauf hin, dass Netflix aktuell vor allem über Preiserhöhungen wächst. Im Januar dieses Jahres wurde der Preis für den werbefreien Standard-Tarif in den USA um 16 Prozent angehoben. Diese Entwicklung spiegelt sich nahezu exakt im aktuellen Umsatzplus wider – sowohl global als auch im Heimatmarkt.

Daraus lässt sich schließen, dass das Nutzerwachstum und auch das Engagement der bestehenden Kunden nur noch schwach zulegen. Der Konsens für das Geschäftsjahr 2026 sieht ein Umsatzwachstum von 13 Prozent vor – eine Zielmarke, die wohl nur mit weiteren Preiserhöhungen erreichbar wäre. Doch angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Lage und einer zunehmenden Preissensibilität der Verbraucher scheint dies nur schwer realisierbar.

Bewertung auf wackligem Fundament

Hinzu kommt eine sehr ambitionierte Bewertung: Analysten erwarten für das laufende Jahr einen Gewinn je Aktie von 26,27 US-Dollar, was einem Plus von 32 Prozent entspricht. Für das kommende Jahr wird ein weiterer Anstieg auf 32,26 US-Dollar prognostiziert. Daraus ergibt sich ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von rund 45 für 2025 und 37 für 2026. Selbst wenn man diese Schätzungen für realistisch hält, erscheint der aktuelle Kurs angesichts des verhaltenen Wachstums bei Nutzern und Sehdauer deutlich zu hoch. Die Kennzahlen lassen wenig Raum für Enttäuschungen.

Die Kursreaktion nach den eigentlich starken Quartalszahlen ist daher kein Zufall. Vielmehr zeigt sie, dass der Markt die hohen Erwartungen nicht mehr bereitwillig mitträgt. Netflix könnte mittelfristig durchaus wieder attraktiv werden – aber nur nach einer spürbaren Korrektur. Bis dahin sollte man sich mit Käufen zurückhalten.

Details aus dem Quartalsbericht

Ein Blick in die aktuellen Geschäftszahlen zeigt ein Umsatzplus von 15,9 Prozent auf 11,08 Milliarden US-Dollar – minimal über den Erwartungen. Besonders hervorzuheben ist die Beschleunigung gegenüber dem Vorquartal, als der Anstieg noch bei 12,5 Prozent lag. Für das dritte Quartal rechnet das Unternehmen sogar mit einem weiteren Anstieg auf 17,3 Prozent Wachstum.

Auch die Jahresprognose wurde angehoben. Statt bisher 43,5 bis 44,5 Milliarden US-Dollar peilt Netflix nun Erlöse von 44,8 bis 45,2 Milliarden an. Verantwortlich für diese positive Anpassung ist jedoch zu einem großen Teil die Abwertung des US-Dollars, die das Auslandsgeschäft – das rund 55 Prozent des Umsatzes ausmacht – begünstigt.

In den USA und Kanada, dem wichtigsten Markt, stieg der Umsatz um 15 Prozent – deutlich mehr als im ersten Quartal. Auch hier ist jedoch der Haupttreiber die Preiserhöhung, die sich nun erstmals über das gesamte Quartal auswirkt.

Starke Margen, aber fragiler Ausblick

Die operative Marge konnte um beeindruckende 690 Basispunkte auf 34,1 Prozent gesteigert werden – bei nur moderat steigenden Ausgaben für Marketing und Verwaltung. Allerdings geht Netflix davon aus, dass dies der vorläufige Höchststand ist. Für das dritte Quartal wird bereits ein Rückgang auf 31,5 Prozent erwartet, die Jahresmarge soll bei lediglich 29,5 Prozent liegen. Ein erneuter Rückgang im vierten Quartal wäre dann folgerichtig – und trägt sicherlich zur aktuell verhaltenen Stimmung der Investoren bei.

Fazit: Beobachten, nicht einsteigen

Die Netflix-Aktie hat sich innerhalb eines Jahres nahezu verdoppelt. Das ist vor allem der erfolgreichen Strategie wiederholter Preiserhöhungen zu verdanken. Doch ohne nennenswertes Nutzerwachstum und angesichts der ambitionierten Bewertung ist das Potenzial vorerst begrenzt.

Kurzfristig ist Zurückhaltung geboten. Wer die Aktie dennoch spannend findet, sollte auf eine deutlichere Kurskorrektur warten – und erst dann über einen Einstieg nachdenken.

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