Johnson & Johnson: Milliarden-Übernahme von Protagonist Therapeutics?

Gerüchte treiben Kurse
Redaktion

An der Wall Street sorgt ein neues Übernahmegerücht für Bewegung im Pharmasektor. Der Gesundheitsriese Johnson & Johnson soll dem Vernehmen nach in Gesprächen stehen, um den kalifornischen Biotechkonzern Protagonist Therapeutics zu übernehmen. Während die J&J-Aktie am Freitag kaum reagierte und mit einem leichten Minus von 0,2 Prozent bei 190,70 US-Dollar schloss, schoss der Kurs von Protagonist um 30 Prozent auf 87 US-Dollar nach oben. Damit wird das Unternehmen aktuell mit rund 5,4 Milliarden US-Dollar bewertet, J&J bringt es auf eine Marktkapitalisierung von rund 459 Milliarden Dollar.

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Vom Sorgenkind zum Übernahmekandidaten

Protagonist Therapeutics hat in den vergangenen Jahren eine bewegte Geschichte hinter sich. Das Biotech-Unternehmen war nach einem klinischen Rückschlag 2021 nahezu abgestürzt, als die US-Arzneimittelbehörde FDA wegen Sicherheitsbedenken einen Studienstopp für das wichtigste Entwicklungsprojekt Rusfertide verhängte. Nach Aufhebung der Sperre erholte sich die Aktie zunächst, stürzte aber erneut ab, als die Behörde 2022 die „Breakthrough“-Bezeichnung des Medikaments zurückziehen wollte.

Ausgerechnet Johnson & Johnson wurde in dieser Phase zum Rettungsanker. Der Pharmariese stieg in die Entwicklung von Icotrokinra, einem gemeinsam entdeckten Wirkstoff, ein. Der oral verfügbare Peptid-Wirkstoff blockiert selektiv den Interleukin-23-Rezeptor und soll bei chronisch-entzündlichen Erkrankungen wie Psoriasis, Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn helfen.

Laut den jüngsten Unternehmensangaben hat J&J im Juli 2025 bei der US-Arzneimittelbehörde FDA einen Zulassungsantrag für Icotrokinra eingereicht. Auch die europäische Arzneimittelagentur EMA prüft inzwischen das Mittel.

Hoffnungsträger mit Milliardenpotenzial

Protagonist rechnet damit, noch vor 2028 Zahlungen von bis zu 120 Millionen US-Dollar aus Meilensteinvereinbarungen mit J&J zu erhalten. Langfristig könnten zusätzlich bis zu 630 Millionen Dollar an Erfolgsprämien und Lizenzgebühren von sechs bis zehn Prozent auf künftige Umsätze fließen.

Die bisherigen Studiendaten sind vielversprechend: In der Phase-2b-Studie „Frontier 1“ erzielte Icotrokinra deutliche Verbesserungen der Hautsymptome bei Psoriasis-Patienten. Spätere Daten aus der „ICONIC-LEAD“-Studie zeigten, dass fast zwei Drittel der behandelten Patienten eine nahezu vollständige Abheilung der Haut erreichten.

Diese Ergebnisse machten Icotrokinra zu einem der spannendsten neuen Präparate im entzündungshemmenden Portfolio von J&J – und damit zu einem potenziellen Nachfolger für Stelara, dessen Patentschutz ausgelaufen ist. Stelara erzielte 2024 noch über zehn Milliarden Dollar Umsatz, sank im ersten Halbjahr 2025 jedoch bereits auf 3,3 Milliarden. Das ebenfalls erfolgreiche Präparat Tremfya, ein injizierbarer IL-23-Hemmer, brachte allein im zweiten Quartal 1,2 Milliarden Dollar ein.

Strategische Motive hinter einem möglichen Kauf

J&J hat mit Icotrokinra bereits die Vermarktungsrechte in weiten Teilen der Welt gesichert. Ein vollständiger Zukauf von Protagonist würde dem Konzern jedoch erlauben, künftige Lizenzzahlungen und Meilensteinprämien zu vermeiden – und gleichzeitig die Rechte an weiteren Entwicklungskandidaten zu sichern.

Besonders Rusfertide macht das Biotech-Unternehmen attraktiv. In einer Phase-3-Studie erzielte der Wirkstoff bei der seltenen Blutkrankheit Polyzythämia vera beeindruckende Ergebnisse: 77 Prozent der behandelten Patienten galten als Responder, gegenüber nur 33 Prozent in der Placebo-Gruppe. Protagonist plant, noch vor Jahresende einen Zulassungsantrag bei der FDA einzureichen.

Partner des Projekts ist der japanische Pharmakonzern Takeda, mit dem Protagonist wahlweise eine gemeinsame Vermarktung in den USA anstreben oder gegen höhere Meilensteinzahlungen aus dem Projekt aussteigen kann. Bei erwarteten Spitzenumsätzen zwischen einer und zwei Milliarden Dollar jährlich würde selbst ein Kaufpreis von sieben Milliarden Dollar für J&J strategisch sinnvoll erscheinen.

Blick in die Pipeline – mehr als nur zwei Hoffnungsträger

Neben Rusfertide und Icotrokinra verfügt Protagonist über weitere Wirkstoffe in der Entwicklung. Dazu gehören PN-881, ein oraler IL-17-Inhibitor, sowie mehrere frühe Projekte im Bereich Adipositas-Therapien, die auf die stark nachgefragten Stoffwechselwege von GLP-1 und GIP zielen. Diese Wirkstoffe befinden sich zwar noch in der präklinischen Phase, könnten jedoch in einem milliardenschweren Zukunftsmarkt Fuß fassen – einem Markt, den derzeit Novo Nordisk mit Ozempic/Wegovy und Eli Lilly mit Mounjaro/Zepbound dominieren.

Fundamentale Stärke bei Johnson & Johnson

Johnson & Johnson bleibt eines der stabilsten Schwergewichte im Pharmasektor. Der Konzern erzielte im zweiten Quartal 2025 einen Umsatz von 23,7 Milliarden Dollar, ein Plus von 5,8 Prozent im Jahresvergleich. Der bereinigte Gewinn je Aktie lag bei 2,77 Dollar, der GAAP-Gewinn bei 2,29 Dollar. Für das Gesamtjahr erwartet das Management Erlöse von bis zu 93 Milliarden Dollar und einen Gewinn je Aktie zwischen 10,63 und 10,73 Dollar.

Die Bilanz gilt als solide, die Nettoverschuldung lag zuletzt bei 32 Milliarden Dollar. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis bewegt sich mit rund 18 im moderaten Bereich, die Dividendenrendite beträgt etwa 3,3 Prozent. J&J ist für langfristige Stabilität bekannt, weniger für kurzfristige Kurssprünge – ein klassischer „Defensivwert“ im Depot vieler Anleger.

Bewertung und Ausblick – was Anleger beachten sollten

Ein vollständiger Kauf von Protagonist dürfte J&J kaum aus der Balance bringen. Die Kosten wären überschaubar im Vergleich zur Konzernbilanz, der strategische Nutzen jedoch beträchtlich. Zwei weit fortgeschrittene, weitgehend risikoreduzierte Wirkstoffprogramme mit hohem Umsatzpotenzial und eine wachsende Pipeline würden das Immunologie-Portfolio stärken und den Umsatzrückgang nach dem Stelara-Patentablauf abfedern.

Ob die Gerüchte tatsächlich stimmen, bleibt jedoch offen. Sollte keine Übernahme folgen, dürfte der starke Kurssprung der Protagonist-Aktie wieder verpuffen. Kommt der Deal hingegen zustande, wäre ein Kaufpreis von rund 100 Dollar pro Aktie – also ein Aufschlag auf den aktuellen Kurs – realistisch.

Für Johnson & Johnson dürfte die potenzielle Übernahme ein weiteres Mosaikstück in einer langfristigen Wachstumsstrategie sein. Für Protagonist hingegen wäre sie ein Befreiungsschlag – und eine Bestätigung dafür, dass sich Durchhaltevermögen und wissenschaftliche Fokussierung am Ende auszahlen.

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