Nervöse Märkte: So schätzt ein Börsenprofi die Lage ein

Im Korrekturmodus
09.09.24 um 10:21

Der Wind hat sich gedreht, an den Märkten herrschen derzeit Nervosität und Verunsicherung. Woher kommt diese Schwächephase? Gehen die Korrekturen noch weiter oder enden sie bald? Wie können sich Anleger jetzt positionieren? Börsenprofi Marco Messina schätzt im Interview die Lage ein und gibt Tipps.

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Korrekturen an den Märkten

Geht den US-Börsen nach der starken Rallye in diesem Jahr die Luft aus? Selbst der erfolgsverwöhnte Nasdaq 100-Index hat in der vergangenen Woche kräftig Federn gelassen und -5,56% verloren. Der S&P 500 hat im selben Zeitraum -3,64% eingebüßt.

Börsenprofi Marco Messina war dieser Tage in den USA und hat die Stimmung dort hautnah miterlebt. Der Chefanalyst des Aktien Navigator stellt sich im Interview den Fragen von SD-Chefredakteur Frank Giarra. Eine spannende Aktie hat er in den Staaten auch entdeckt.

Die Märkte erscheinen derzeit sehr nervös, wie die stark gestiegene Volatilität zeigt. Woran könnte das liegen?

Marco Messina: Immer, wenn etwas komplizierter ist, geben Medien und sogenannte Experten gerne einfache Antworten. So auch auf diese Frage. Geht es nach ihnen, sind es einfach nur Rezessionsängste, die die Märkte derzeit bewegen. Unterstützt wird diese These ja auch durch die sinkenden Ölpreise. Diese einfache Antwort soll es also sein, wohlgemerkt für den schwächsten Start in die erste Septemberwoche des S&P 500 seit 1942?

Das ist mir ein bisschen zu einfach. Wir müssen die Kapitalmärkte aus zwei unterschiedlichen Perspektiven betrachten, denn es gibt zwei primäre Treiber der aktuellen Situation, wohlgemerkt auf extrem hohen Kursniveaus, das dürfen wir nicht vergessen.

Zwei Faktoren für die Unruhe

Mit der Nervosität geht Verkaufsdruck einher. Ist das „nur“ dem oft schwachen September geschuldet?

Marco Messina: Börsensprüche sind schön und gut, aber nur weil es September ist, haben wir nicht das aktuelle Marktumfeld.

Punkt 1 ist und bleibt weiterhin Japan. Ich verstehe überhaupt nicht, warum der japanische Kapitalmarkt in vielen Berichterstattungen zu den aktuellen Entwicklungen überhaupt nicht vorkommt. Ich hatte bereits vorher auf das Thema Carry-Trades hingewiesen, und auch im Aktien Navigator haben wir diese Situation umfassend behandelt.

Der US-Dollar/Yen ist fast auf einem Jahreshoch und aktuell auf dem Niveau von Ende Dezember 2023. Die Kredite auf billiger Yen-Basis geraten unter Wasser. Angesichts anstehender Zinssenkungen in den USA und der kürzlich vorgenommenen Zinserhöhungen in Japan wird weiterhin aus den Large Caps in den USA abverkauft und zurück in Yen gewechselt. Das sehen wir eindeutig in der Entwicklung der Devisenmärkte. Der massive Geldabfluss aus den US-Large Caps zieht dann derzeit leider auch in die Breite. Hier fehlt noch die Differenzierung zu Value.

Wir haben sinkende Zinsniveaus in den USA, was die Nachfrage nach US-Anleihen erhöht. Parallel ziehen die Carry-Trades Liquidität aus den hochkapitalisierten US-Aktien heraus. Innerhalb der USA sehen wir einen Wechsel zu defensiveren großen Aktienwerten, die in den letzten 24 Monaten eigentlich nicht jedermanns Liebling gewesen sind. Tabakaktien oder Telekommunikationstitel, die sowohl von den sinkenden Zinsniveaus als auch von einem beständigen, wenn auch geringen, Wachstum profitieren.

Punkt 2 ist der US-Arbeitsmarkt bzw. der Zustand der US-Wirtschaft. Die Arbeitsmarktdaten signalisieren, dass die Wirtschaft anscheinend etwas an Schwung verliert. In den USA habe ich zwischen meinen Terminen in New York in der U-Bahn Werbung für ein Jobportal gesehen, auf der stand zu lesen, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer innerhalb von nur 24 Stunden zueinanderfinden sollen. Ich glaube, das wäre in Deutschland undenkbar.

Ein Arbeitsmarkt, der eher unsicher ist, bedeutet Zurückhaltung bei Investitionen, weshalb oft von Rezessionsängsten gesprochen wird. Das ist die einfachste Antwort auf die Frage, klammert aber leider Japan und einige andere Faktoren völlig aus.

Die Makrodaten senden uns ein klares Signal: die Erwartung an die Fed, die Zinsen jetzt im September zu senken. Mit dieser Erwartung und den Geldflüssen aus Japan fließen dann weitere Beträge aus dem Aktienmarkt ab, und man steckt sie lieber kurzfristig in Termineinlagen oder auch in kurzlaufende Anleihen, um abzuwarten.

Chancen nutzen

Sie waren gerade in den USA. Wie haben Sie die (Börsen-)Stimmung vor Ort erlebt?

Marco Messina: Ich habe dort eher wahrgenommen, dass man die Situation nicht auf die leichte Schulter nimmt, aber genau in diesem Umfeld die Chancen nutzt, die die Märkte bieten. Das bedeutet, in Substanz zu investieren, dort wo klare Unterbewertungen zu erkennen sind, weniger Fokus auf Growth, mehr auf Value.

Aber auch das Thema Unternehmensanleihen mit attraktiven Renditen ist wieder im Fokus. Der M&A-Sektor und auch der Markt für IPOs sind nahezu zum Erliegen gekommen.

Eine spannende Aktie

Haben Sie wichtige Erkenntnisse für Ihre Investitionen und die im Aktien Navigator gewonnen?

Marco Messina: Ja, das habe ich. Einerseits war ich mit meinem Fokus auf Value-Investitionen etwas zu früh dran, habe aber bemerkt, wie diese Werte, gerade aus den USA, nun auch dort wieder in den Fokus rücken.

Gleichzeitig habe ich aber auch gesehen, wie stark das politische Thema bereits jetzt erheblichen Einfluss auf die Entscheidungsfindung nimmt. Obwohl die US-Wahl erst in knapp acht Wochen stattfindet, gibt es jetzt schon – neben dem Start der neuen NFL-Saison – im Fernsehen fast kein anderes Thema mehr. Auftritte von Trump oder Harris werden nahezu täglich auf einem der überregionalen Sender übertragen. Davor und danach folgen dann Debatten von Experten oder Moderatoren zu dem, was man da zu hören bekommen hat.

Haben Sie Aktien erspäht, die Sie jetzt unbedingt kaufen wollen?

Marco Messina: Ich habe einige Ideen mitgenommen von Aktien, die sowohl von Harris als auch von Trump profitieren könnten. Ich glaube, darüber mache ich mal eine Ausgabe oder einen Report für alle fertig, was ich da so mitnehmen konnte, ansonsten wird das hier noch länger.

Aber man kann sich jetzt einige schöne defensive Werte aus den USA ins Depot legen oder abgestürzte Highflyer. Eine Aktie, die ich nicht exklusiv in den USA entdeckt habe, sondern die auch in den sozialen Medien und von anderen Börsendiensten in den letzten Tagen in den Fokus gerückt wurde, ist Celsius Holdings. Die Aktie war bis Mai hochgehandelt, hat seitdem zwei Drittel ihres Wertes verloren und notiert auf Jahressicht immerhin fast 46% unter dem Jahresstart.

Pepsi wurde vor fast genau zwei Jahren Hauptvertriebspartner, und seitdem stehen die gesunden Energydrinks in nahezu jedem Kiosk-Kühlschrank. Das vorherige Wachstum entstand allerdings durch zu hohe Bestellungen von Pepsi, und der Preis pro Dose ist höher als bei mancher Konkurrenz. Daher blieb der Absatz 2024 deutlich hinter den Erwartungen zurück. Da Pepsi das nun besser strukturiert hat und auch Aktien hält, könnte auf diesem Niveau langsam wieder Fantasie aufkommen. Vor allem ist das KGV historisch gesehen sehr niedrig.

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